Das Streikrecht steht (mal wieder) unter Beschuss. Da mögen wir als Gewerkschaft vielleicht etwas dünnhäutig reagieren und wie gewohnt gerne das Bundesarbeitsgerichtsurteil aus den 1980er Jahren zitieren: Tarifverhandlungen ohne Streikrecht wären schließlich nicht mehr als kollektives Betteln. Da das deutsche Streikrecht keiner konkreten Gesetzgebung folgt, sondern aus dem Grundgesetz abgleitet wird und einer fortentwickelten Rechtsprechung unterliegt, kann man mit wenig Aufwand und Hintergrundwissen auch schnell sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, indem man zum Beispiel dummes Zeug per Gesetz fordert. Doch mahnen wir uns zur Sachlichkeit und lassen die Debatte von neutraler Seite verfassungsrechtlich beurteilen:
„Es gibt einen verfassungsrechtlichen Rahmen, der auch die Grenzen möglicher gesetzlicher Regelungen absteckt“, schreibt Eva Koch im Verfassungsblog. Mit anderen Worten: Selbst wenn eine Regierung das Streikrecht ändern wöllte, könnten diverse Vorschläge unvereinbar mit dem Grundgesetz sein. Und weiter:
„Ganz so arbeitskampffreundlich wie es in der aktuellen Debatte manchmal klingt, ist die deutsche Rechtsprechung keineswegs. Sie beschränkt das Streikrecht recht weitgehend und über das hinaus, was das internationale Recht erlaubt. Der Europäische Ausschuss für soziale Rechte, der die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta (ESC) überwacht, stellte zuletzt 2022 fest, dass mehrere zentrale Grundsätze des deutschen Rechts im Widerspruch zu Art. 6 (4) der ESC stehen, insbesondere der Grundsatz, dass Streiks nur im Rahmen von Tarifverhandlungen und mit der Zielsetzung einer tariflichen Regelung zulässig sind, sowie die Anforderungen, die an eine Organisation („Gewerkschaft“) gestellt werden, die zu einem Streik aufrufen darf.“
Interessant ist auch folgende Einordnung von Koch im selben Text: „Die rechtspolitischen Vorschläge und Themen sind immer wieder dieselben, in den 1970er Jahren vor dem Hintergrund großer Streikwellen in der Industrie, in den 2010er Jahren nach der Verlagerung des Streikgeschehens in Deutschland auf Dienstleistungsbranchen, oder aktuell während tagelanger Einschränkungen des Bahnverkehrs und angesichts einer Verhandlungspolitik der GDL, die für Außenstehende nicht mehr ausreichend nachvollziehbar war.“
Das sollte man mal gelesen haben.
Eva Koch: Ein glühendes Stück Eisen. 01.04.2024, In: Verfassungsblog. On matters constitutional.
Wir plädieren übrigens nicht nur für eine Verteidigung des Streikrechts, sondern sehen sogar Anlass zu einer Erweiterung.