Kurz vor dem Verhandlungsauftakt bei der hanova Wohnen GmbH einigten sich die Verhandlungsparteien im bundesweiten Flächentarifvertrag der Wohnungswirtschaft. Was arbeitgeberseitig folgte war wenig überraschend. Überraschender war die Reaktion der Beschäftigten.
Bedingt durch Unsicherheiten und schwer planbare Jahre im Rahmen der Corona-Pandemie blieben die Tarifergebnisse bei der hanova Wohnen GmbH hinter den Preissteigerungen der Vorjahre zurück. In Summe errechnete die Tarifkommission seit 2019, dem letzten Jahr mit einem Reallohnplus im Haus-Tarifvertrag, ein Minus in der Kaufkraft in Höhe von 11,0 %. Keine der Tarifparteien sah im Oktober/November 2021 weltpolitische Entwicklungen voraus. Anders als andere Branchen wie etwa der Einzelhandel kann der Kernbereich der Wohnungswirtschaft Preissteigerungen langsamer und z. T. nicht in voller Höhe an seine Kundinnen und Kunden weitergeben – und das zurecht!* Dass die Beschäftigten der Wohnungswirtschaft dennoch mit denselben Preissteigerungen konfrontiert sind wie alle anderen, führt zu einem Spannungsverhältnis in dieser Tarifrunde. So war von vornherein klar: Diese Tarifverhandlungen werden schwierig und höchstwahrscheinlich hart.
Um weiteren Reallohnverlusten vorzubeugen und die stärkere Belastung für die unteren Einkommensgruppen auszugleichen, beschloss die Mitgliedschaft verhältnismäßig hohe Festgeld-Forderungen. Orientiert hat man sich dabei an der obersten Entgeltgruppe:
Die Arbeitgeberseite lehnte die Forderungen erwartungsgemäß ab. Den Reallohnverlust bestritt man nicht, gab allerdings zu bedenken, dass das Einkommensniveau der Branche im Allgemeinen und der hanova im Speziellen dennoch ein hohes sei. Soziale Komponenten bei den Entgelten lehnte man ab; gar nicht infrage käme aus Arbeitgebersicht eine Ungleichbehandlung von Beschäftigten, „nur weil sie Mitglied in irgendeinem Verein sind“ (Zitat). Man könne und wolle maximal das Tarifergebnis aus dem Flächentarifvertrag übernehmen – auch das hatten wir erwartet.
Der Standpunkt der Arbeitgeberseite veränderte sich auch in der 2. Verhandlungsrunde im Januar nicht. Das erste Angebot, noch im Dezember 2023, habe man in der Absicht vorgebracht, kurzfristig zu einem gemeinsam getragenen Ergebnis zu kommen. Auch strukturell wollte man nicht vom Flächenergebnis abweichen, indem man etwa die angebotene Steigerung verschieden auf unterschiedliche Gruppen verteile, doch in der Summe gleichbliebe. Nicht einmal eine Umwandlung in Festbeträge anstatt der angebotenen prozentuellen Erhöhungen konnte man sich vorstellen. Den unterschiedlichen Forderungen aus Flächen- und Haustarifverhandlungen schenkte man damit weiter keine Beachtung.
Im Vorfeld der dritten Verhandlungsrunde versammelten sich kurzfristig knapp über 30 Beschäftigte vor dem Eingang des Firmensitzes für eine Fotoaktion. Einige Aktive aus der Tarifkommission informierten rein vorsorglich ihre Kolleginnen und Kollegen mit Flugblättern über wichtige Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Thema Warnstreik. Angesichts dieser Aktivitäten sah sich die Arbeitgeberseite erstmalig dazu motiviert, die eigene Sichtweise in einer Rundmail an die Beschäftigten kundzutun. Um einen Warnstreik abzuwenden, bot die Arbeitgeberseite in der dritten Verhandlungsrunde ein kleines Zugeständnis in Form eines festen freien Brückentages pro Jahr für alle an. Im Kern blieb das Angebot allerdings unverändert. Die Brückentage seien allerdings vom Tisch, wenn es doch zu Arbeitskampfmaßnahmen käme.
So folgte am 9. Februar 2024 das Unvermeidliche: Warnstreik! Der erste der Unternehmensgeschichte. Angesichts der kurzfristigen Mobilisierung war die Beteiligung von ca. 40 Kolleginnen und Kollegen ein Achtungszeichen.
Situation und Sichtweise des Arbeitgebers war für niemanden überraschend. Auch an den nicht mehr sozialpartnerschaftlichen Ton hatte man sich in den letzten Jahren und Monaten bei der hanova bereits gewöhnt. Neu waren im Zuge der Verhandlungen allerdings Berichte über Einschüchterungsversuche gegenüber einzelnen Personen. Ein Höhepunkt war der Warnstreiktag: Die Arbeitgeberseite stellte vier Führungskräfte, darunter den Personalleiter und gleichzeitig Verhandlungsführer ab, um Streikposten und Kundgebung vor dem Unternehmenssitz zu verfolgen, stets gut sichtbar und teils in weniger als zehn Meter Abstand. Aus Arbeitgebersicht sei dies notwendig gewesen, um festzustellen, wer sich am Streik beteiligte. Das wäre über die Arbeitszeitdokumentation natürlich völlig unmöglich gewesen. Unsere Einschätzung, dass die arbeitgeberseitige Präsenz viel eher der Einschüchterung dienen könnte, wies man im Nachhinein deutlich von sich. Speziell die Mitglieder der (durch die ver.di-Mitglieder gewählten) Tarifkommission und andere ver.di-Aktive sahen sich im Rahmen der Tarifverhandlungen teils unsachlicher Kritik ausgesetzt. Wir behalten die Aktivitäten des hanova-Konzerns im Auge, der übrigens zu 90 % der Landeshauptstadt Hannover und zu 10 % der Sparkasse Hannover gehört, also zu 100 % in öffentlicher Hand ist.
Auch der Warnstreik Anfang Februar führte nicht zu einem verbesserten Angebot. Ob weitere Verhandlungen Sinn ergeben, schien fraglich. Die Arbeitgeberseite lud mehrfach zu freiwilligen Informationsveranstaltungen in der Arbeitszeit ein, um ihre Sicht der Dinge darzulegen. Wir informierten nach jeder Verhandlungsrunde mittels Flugblatt und digitaler Mitgliederversammlung über den aktuellen Stand. Darüber hinaus führten die Aktiven der Tarifkommission viele Einzelgespräche. Unsere Versammlungen (in der Freizeit) waren in der Regel besser besucht als die Veranstaltungen der Arbeitgeberseite (während der Arbeitszeit), doch nahmen viele Mitglieder an beiden nicht teil. Einige Kolleginnen und Kollegen beteiligten sich aus Angst vor möglichen Konsequenzen nicht (mehr) an Aktionen, ein Teil der Belegschaft schien der Arbeitgeberargumentation zu folgen. Einige unserer Mitglieder waren (und sind) empört über das Agieren des Arbeitgebers.
In Summe mussten wir erkennen, dass wir nicht mehr mobilisierungsfähig waren. Demnach nahmen wir den Gesprächs- bzw. Verhandlungsfaden Anfang März wieder auf und akzeptierten schweren Herzens in der vierten Verhandlungsrunde die angebotene Übernahme des Flächentarifergebnisses. Die zwischenzeitlich vom Tisch genommene Ergänzung um zwei freie bezahlte Brückentage in der 22-monatigen Laufzeit des Tarifvertrages kam noch hinzu.
Das Tarifergebnis ist angesichts der Situation sicherlich kein Erfolg für uns, doch muss es sich auch nicht verstecken. Angesichts der gewandelten Unternehmenskultur tun die Beschäftigten allerdings weiterhin gut daran, sich zum Schutz zusammenzuschließen und einer starken Gewerkschaft anzugehören. Im Kreise der interessierten Mitglieder werden wir die Tarifrunde insgesamt aufarbeiten und uns somit auch auf die voraussichtlich nächsten Tarifverhandlungen im Herbst 2025 vorbereiten.