Sicherheitsdateien des Bundes: Eine Gefahr für Rechtsstaat und Pressefreiheit?
Von fehlerhaften Einträgen bis hin zur fragwürdigen Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden - die Sicherheitsdateien von Polizei und Verfassungsschutz werfen viele Fragen auf. Wissenschaftsjournalist Peter Welchering hat zahlreiche Fälle für den Deutschlandfunk recherchiert. Für die dju Niedersachsen-Bremen hat er von seinen Recherchen berichtet. Ein schockierender Einblick in ein undurchsichtiges System.
Die Sicherheitsdateien des Bundes sind geheim. Die meisten von uns wissen nicht, ob und was über sie drinsteht. Nur einzelne, publik gewordene Fälle werfen Schlaglichter auf die Geheimdateien, die Wissenschaftsjournalist Peter Welchering als „Risiko für den demokratischen Rechtsstaat bezeichnet“. In seinem Online-Kurs „Von G20 bis Schönbohm – sind die Sicherheitsdateien des Bundes eine Gefahr für Sicherheit und Pressefreiheit?“ hat er seine Auffassung erläutert und mit zahlreichen Beispielen belegt.
Welchering stützt sich dabei auf Medienberichte, eigene umfangreiche Recherchen, Berichte der Bundesdatenschützer und veröffentlichte Urteile. Sein Vortrag mit allen Quellenangaben kann auf dieser Seite als PFD heruntergeladen werden.
Anlass für das Seminar der dju Niedersachsen-Bremen war der Fall Arne Schönbohm, der im Oktober 2022 von Bundesinnenministerin Nancy Faeser seines Amtes enthoben wurde. Faeser warf dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor, in Verbindung mit einem privaten Sicherheitsverein zu stehen, der den Austausch mit russischen Cybersecurity-Unternehmen und Geheimdienstlern befürwortet. Schönbohm hatte diesen Verein "Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e.V." mitgegründet und war dessen Vorsitzender, bevor er 2016 sein Amt beim BSI antrat.
Die Akte Schönbohm – nichts Belastendes gefunden
Auf Anweisung des Innenministeriums sollte der Verfassungsschutz in seinen Geheimakten nach belastenden Informationen über Schönbohm suchen. Trotz monatelanger Nachforschungen konnte jedoch nichts gefunden werden, was eine eilige Amtsenthebung gerechtfertigt hätte. Die Ministerin soll über die Ermittlungslage nach Abfrage der Sicherheitsdateien nicht erfreut gewesen sein.
Aber: Ergiebige Informationen über JournalistInnen beim G20 Gipfel
Ganz anders war die Situation beim G20-Gipfel in Hamburg im Jahr 2017, wo die Sicherheitsdateien ergiebige Informationen zu liefern schienen. Die Polizei entzog 32 Journalisten die Akkreditierung aufgrund von Sicherheitsbedenken und Hinweisen auf relevante Daten in den Sicherheitsdateien des Bundes. Allerdings stellte sich heraus, dass die Dateien fehlerhaft waren. Ein NDR-Journalist wurde fälschlicherweise als "Reichsbürger" eingestuft, aufgrund einer Namensverwechslung in einer OSINT-Analyse. Andere Journalisten wurden ausgeschlossen, weil sie fälschlicherweise als linksextrem eingestuft wurden. Zum Beispiel wegen einer früheren Teilnahme an einer Anti-Kernkraft-Demo. Dabei wurde unterstellt wurde, dass sie gegen den Staat und das System seien.
Falsche Einträge, willkürliche Speicherung, fehlender Aktenrückhalt
Welchering, der sich seit vielen Jahren mit dem Thema Sicherheit und Datenschutz beschäftigt und den Datenskandal beim G20-Gipfel aufgedeckt hat, betont, dass die Sicherheitsdateien des Bundes fehlerhafte und teilweise falsche Einträge enthalten. Dies betreffe nicht nur Journalisten, sondern auch viele Bürger.
In seinen Recherchen für den Deutschlandfunk hat Welchering im Bundeskriminalamt nachgeforscht, sich mit Informanten getroffen. Einträge mit erheblichen Auswirkungen für Betroffenen seien willkürlich erfolgt, sagt er. Und: Personen, gegen die nichts Konkretes vorlag, wurden als sogenannter Prüffall in Vorsorgedateien gespeichert, wenn Polizeibeamte der Meinung waren, dass die Person künftig für bestimmte Straftaten in Betracht kommen könnte.
Die Eintragungsgründe würden oftmals nicht gepflegt, sodass viele Datensätze in den Sicherheitsdateien des Bundes keine kriminologische Aussagekraft haben und nicht mehr nachvollziehbar seien. In vielen Fällen würden Informationen ohne kritische Überprüfung gespeichert. Zudem fehle oft eine Protokollierung, um die Herkunft bestimmter Daten nachvollziehen zu können.
Der fehlende Aktenrückhalt führt laut Welchering zu erheblichen Problemen bei der Quellenanalyse, insbesondere bei der Speicherung von Kontakten und Begleitpersonen.
Seine Kritik wird durch Berichte von Datenschützern gestützt.
Informationen ins Ausland
Zudem legt das Bundeskriminalamt auch Kriminalakten an, um Anfragen aus dem Ausland zu beantworten. Es gebe ca. 2,6 Millionen Akten in Papierform und eine Million in digitaler Form. Durch die Weitergabe an autokratische Regime wird die Arbeit von Journalisten unmöglich gemacht.
Die wichtigsten Kritikpunkte an den Sicherheitsdateien des Bundes:
1. Missachtung des Trennungsgebotes von Nachrichtendienst und Polizei.
2. Massive Infragestellung der Sicherheitsdateien als Informationsquelle durch Insider.
3. Willkürliche Eintragungen werden auch bei intern geäußerter Kritik nicht zurückgenommen.
4. Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitsbehörden genügt oft nicht rechtsstaatlichen Kriterien.
Gemeinsames Daten-Managementsystem für Polizei und Verfassungsschutz
Laut einem Bericht des Bundesdatenschützers aus dem Jahr 2022 hat das Bundesministerium des Inneren mit einer europaweiten Ausschreibung ein neues Datenmanagementsystem gesucht. Das System QSEC soll bis Ende 2023 eingeführt werden. Auch hier wird das Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten missachtet, denn die Datensätze von gemeinsamen Projektdateien sollen in das neue Datenmanagementsystem überführt werden können.
Er habe nachgefragt, so Welchering, was mit den Altdaten passieren wird, die ohne Aktenrückhalt in das neue Dateimanagement übernommen werden. Antwort: Sie sollen weitergeführt werden mit dem Hinweis, dass noch neue Ermittlungen stattfinden und diese noch nicht abgeschlossen sind.
Das bedeutet: Altdaten sollen als laufende Ermittlungsverfahren deklariert werden, um die Übernahme zu legitimieren. Gleichzeitig erscheint dies wie ein Warnhinweis an die Nutzer in den Dienststellen, die Informationen mit Vorsicht zu betrachten.
Fazit
„An der desaströsen Lage hat sich wenig geändert“, sagt Welchering. Ein Teilnehmer der Onlineveranstaltung fasste es so zusammen: Das System ist wenig belastbar, kann aber als denunziatorisches Instrument genutzt werden.
Was muss passieren?
Es liegt in der Verantwortung der Bundesregierung, die Bereiche "Straftäterdatei", "Vorsorgedateien" und "Aktenrückhalt" so zu reformieren, dass zukünftig keine Beeinträchtigung der Bürger, der Medienfreiheit und der journalistischen Arbeit mehr stattfindet.
In der Straftäterdatei Linksextremismus sollten nur noch Personen geführt werden, die wegen einer entsprechenden Straftat verurteilt wurden oder gegen die ein Ermittlungsverfahren läuft. Wird ein Ermittlungsverfahren eingestellt, muss der Eintrag gelöscht werden. Gleiches gilt für die Datei RED - Rechtsextremismus.
Gemeinsame Projektdateien, die vom BKA und den Verfassungsschützern geführt werden, müssen einer sauberen Quellenkritik unterzogen werden, bevor die Daten in eine Vorsorgedatei übernommen werden dürfen.
Der sogenannte Aktenrückhalt muss für alle Dateieinträge lückenlos erfolgen. Bisher wurden Einträge vorgenommen, ohne Belege dafür zu führen.
Text:
Annette Rose, Mitglied im Landesvorstand Medien, Journalismus und Film Niedersachsen-Bremen
Referent:
Peter Welchering arbeitet seit 1983 als Wissenschaftsjournalist für Radio, Fernsehen und Print (u.a. Deutschlandradio, ZDF, verschiedene ARD-Sender, FAZ), und zwar bevorzugt an der Schnittstelle von Informationstechnik und Politik. Er hat verschiedene Lehraufträge an Journalistenschulen, hält Vorträge über die Themenbereiche „Datensicherheit“, „Datenschutz“, „Digitale Souveränität“ auf Konferenzen. An der Merz-Akademie, Hochschule für Gestaltung, Kunst und Medien, in Stuttgart lehrt er Online/Offline Investigation (Recherche).
https://www.merz-akademie.de/projekte/daily-investigation/
Nach seinem privaten Umzug nach Ostfriesland im Mai 2022 hält er nur noch einzelne Vorträge dort.
An der Georg-August-Universität Göttingen lehrt er journalistische Praxis (u. a. als Einführung in den Wissenschaftsjournalismus) als Präsenz-Blockseminare.
In der Wissenschaftspressekonferenz ist Peter Welchering Host des monatlichen „Recherche-Jour-Fixe“, der seit Sommer 2020 als Webinar durchgeführt wird.
https://wpk.org/blog/wpk-recherche-jour-fixe/
Welchering ist zertifizierter Trainer im Journalismus (KfJ). Er hat Philosophie studiert und war drei Jahre Volontärsausbilder im Heise-Verlag (u.a. c’t), acht Jahre Chefredakteur und Redaktionsdirektor im Konradin-Verlag (Computer Zeitung und Online-Portal).
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