Polizei verfolgt Bedrohung von Journalisten bei Nazi-Demo nicht

09.12.2019
Nazis bedrohen Journalisten

Bedrohungen durch Neonazis während der Nazi-Demo werden nicht verfolgt. Die Polizei verweist Journalist*innen auf Strafanträge

„Wir haben Namen und Adressen und vergessen nicht. Gott mag Gnade kennen, wir nicht.“ Oder: „Feldmann muss weg“. So drohten rechtsextreme Demonstranten auf einem Plakat und in Reden am 23.11.2019 vor dem Funkhaus Hannover, allen voran Sven Skoda von der Partei Die Rechte.

Die Antwort der Polizeidirektion Hannover auf die Anfrage der Deutschen Journalist*innen-Union (dju) Niedersachsen-Bremen, ob die Bedrohungen strafrechtlich verfolgt werden,  lautet: "Nein"

In der Stellungnahme wird der § 241 StGB „Bedrohung“ zitiert:

"Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft".

Zu den Voraussetzungen für eine Strafverfolgung gehört demnach, dass ein Mensch mit einer Tat bedroht wird, die laut Gesetz ein Verbrechen ist. Das sind Straftaten, die im Mindestmaß mit Haftstrafe von einem Jahr und mehr bedroht sind, wie z.B. schwere Körperverletzung, Erpressung, Geiselnahme, Menschenraub, schwere Brandstiftung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Totschlag, Mord …

Es heißt dann weiter in der Stellungnahme: „Zu den von Ihnen übersandten Links (Zitate der Bedrohungen aus der aktuellen Berichterstattung) werden im Rahmen von Strafantragsdelikten seitens der Polizeidirektion Hannover keine Ermittlungsverfahren von Amts wegen geführt.“ Soll heißen: „Der Straftatbestand der Bedrohung in § 241 Strafgesetzbuch ist nicht erfüllt. Die Polizei verweist Betroffene, die sich bedroht fühlen, auf die Erstattung einer Strafanzeige.

Die juristisch beratenen Neonazis wissen, dass laut Gesetz eine konkrete Tat in Aussicht gestellt werden muss. Sie drohen deshalb „nur“ mit Andeutungen eines schwerwiegenden Übergriffs („Feldmann muss weg“) und überlassen es der Vorstellung der Betroffenen, was ihnen als Nächstes passieren könnte. Bei einer anderen Veranstaltung wurde ein Journalist mit der Ansage bedroht, dass der „Revolver schon geladen“ sei.

Neben dem NDR-Mitarbeiter Julian Feldmann gibt es neun weitere Journalist*innen, die von der NPD namentlich angeprangert werden. Einige waren bereits mehrfach betroffen von Sachbeschädigungen und Körperverletzungen, auch schwerwiegender Art. Darum nimmt kein Journalist solche Äußerungen auf die leichte Schulter.

Britta Schwarz, Leiterin der Pressestelle der Polizeidirektion Hannover, rät: „im Zweifel immer Anzeige zu erstatten.“ Das sei persönlich, telefonisch oder schriftlich bei jeder Polizeidienststelle oder der Staatsanwaltschaft möglich. Es sei wichtig, solche Bedrohungen zu dokumentieren, damit die Polizei im Wiederholungsfall die Lage besser einschätzen könne. Betroffene sollten sich beraten lassen, wie sie sich schützen und den Kontakt zur Polizei schnell herstellen können.

Ein Rat, dem Betroffene konsequent folgen sollten.

Die Initiative, Handeln und Verantwortung auf einzelne Betroffene zu verlagern, ist jedoch in diesem radikalen gesellschaftspolitischen Zusammenhang nicht ausreichend. 

Volker Stennei, Sprecher des Deutschen Presserates, betonte anlässlich der Demo gegen Nazis und in Hannover, die Pressefreiheit habe in Deutschland Verfassungsrang. Die Erfahrung in aller Welt zeige, „dass die Pressefreiheit insgesamt stets bedroht ist, wenn einzelne Journalisten und Journalistinnen bedroht werden.“ Daher fordere der Deutsche Presserat Politik und Sicherheitskräfte erneut auf, dem Schutzgut Pressefreiheit höchsten Rang einzuräumen und die dort Tätigen wirksam gegen Bedrohungen und Angriffe zu schützen. „Der Presserat appelliert zugleich an die Justiz, bei der Abwägung zwischen Grundrechten besonders sensibel zu beachten, dass die öffentliche Brandmarkung einzelner Personen in radikalen politischen Konzepten eine propagandistische Vorstufe zur Anwendung körperlicher Gewalt sein kann.“

Die Redner der Neonazis betreiben geistige Brandstiftung. Wird ihre Hetze auf Journalist*innen nicht gestoppt, könnten sich rechte Anhänger berufen fühlen, angedeutete Drohungen in die Tat umzusetzen.

Während der Gegen-Demo für Pressefreiheit am 23.11. sagte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius, die Weimarer Republik mit ihren schrecklichen Folgen sei nur möglich geworden, weil die gesamte deutsche Gesellschaft den Nazis nicht genug entgegengesetzt habe.

"Wie gehen wir mit der neuen Form der Bedrohung von Journalisten um?" fragte die Buchautorin Andrea Röpke, als sie die Reden der Rechten vor dem NDR-Funkhaus hörte. Sie recherchiert seit vielen Jahren über Neonazis und wurde mehrfach angegriffen.

Genau das ist die Frage in der heutigen Zeit, in der der Rechtsextremismus wächst. Der Hinweis an Bedrohte, doch Strafanzeige zu erstatten, ist vor diesem Hintergrund nicht genug.  Demokratische Politiker*innen, Polizei und Justiz müssen Regeln finden, um geistigen Brandstiftern wirksam zu begegnen.   

Annette Rose

dju-Sprecherin Niedersachsen-Bremen

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Vermummungsverbot?

Während der Demo, bei der ein Großaufgebot an Polizisten einen Tag lang dafür sorgte, dass der Aufmarsch der Rechten nicht auf die Gegendemo für Pressefreiheit stieß, ließen Beamte einzelne Neonazis vermummt mitmarschieren. Die hatten ihre Köpfe mit Kapuzen, Sonnenbrillen und Schals verhüllt – trotz Vermummungsverbot. Die Männer hätten erklärt, es gehe ihnen nicht darum, die Feststellung ihrer Identität durch die Polizei zu verhindern, sondern darum, nicht von Journalisten abgelichtet zu werden, so die Polizei.

Fragen der dju zum Vermummungsverbot und Antworten der Pressestelle des Innenminsteriums unter diesem Link

https://nds-bremen.verdi.de/branchen-und-berufe/medien-kunst-und-industrie/dju/++co++c23f19d4-18a2-11ea-8b6b-525400b665de