Polizei will über Vermummungsverbot im Einzelfall entscheiden
Während der Nazi-Demo am 23.11.2019 durften einige Rechtsradikale trotz Vermummung mit Sonnenbrillen, Kapuzen und Schals weitermarschieren. Die Polizei schritt nicht ein. Die Demonstranten hätten erklärt, die Vermummung solle nicht ihre Identitätsfeststellung durch die Polizei verhindern, sondern ein Schutz vor Pressefotos sein, begründeten Beamte ihr Vorgehen.
Daraufhin hagelte es Kritik nicht nur von linken Gegendemonstranten, die ankündigten, künftig auch vermummt auf Demos zu gehen. Dies geschah dann auch eine Woche später am 29.11. bei einer Demo gegen das Vermummungsverbot. Da alles friedlich blieb, tolerierte die Polizei auch hier vermummte Demonstrant*innen.
Die dju fragte im niedersächsischen Innenministerium nach, wie die Polizei künftig mit dem Vermummungsverbot umgehen will, und erhielt diese Antworten
1. Macht die Behauptung, sich vor Fotos - von wem auch immer (auch der Polizei) - schützen zu wollen, die Vermummung legal?
Nach dem niedersächsischen Versammlungsgesetz ist es grundsätzlich verboten, an einer Versammlung in einer Aufmachung teilzunehmen, die zur Verhinderung der Feststellung der Identität geeignet und bestimmt ist. Ob eine Aufmachung als Vermummung zu werten ist, bestimmt sich nach ihrer objektiven Eignung und ihrer subjektiven Zweckbestimmung. Objektiv geeignet sind alle Mittel, die die Identitätsfeststellung durch Bildaufzeichnung dadurch erschweren, dass das Gesicht einer Person ganz oder teilweise verhüllt oder sonst unkenntlich gemacht wird. Die subjektive Zweckbestimmung (Vermummung mit der Absicht der Identitätsverschleierung) wird insbesondere dann gegeben sein, wenn beim Ausbrechen von Gewalttätigkeiten die Vermummung angelegt oder nicht abgelegt wird. In Einzelfällen - unter Würdigung der Gesamtumstände - kann das Anlegen von Vermummung aber zum Schutz vor tätlichen Angriffen oder Verletzung des Kunsturhebergesetzes (Bildaufnahmen von Versammlungsteilnehmern durch Gegendemonstranten zwecks Identifizierung, sog. „Outing“) als legitimer Grund für eine Unkenntlichmachung angesehen werden, solange sie nicht auch dazu dient, eine Identitätsfeststellung durch die Strafverfolgungsbehörden zu verhindern. Eine bloße Behauptung dürfte hierzu nicht ausreichend sein.
2. Gibt es im Versammlungsrecht von Niedersachsen andere Regeln als in anderen Bundesländern?
Einige Bundesländer haben eigene Versammlungsgesetze verabschiedet, in den übrigen Bundesländern findet das Versammlungsgesetz des Bundes weiterhin Anwendung. Die jeweiligen Landesregelungen zum Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot sind durchaus unterschiedlich ausgestaltet und erfahren auch immer wieder zum Teil wesentliche Änderungen. So stellt ein Verstoß gegen das Vermummungsverbot beispielsweise nicht in allen Versammlungsgesetzen eine Straftat dar (auch in Niedersachsen nicht, Anm. der Redaktion)
3. Wie soll künftig in Niedersachsen mit dem Vermummungsverbot umgegangen werden? Was ist erlaubt, was nicht.
Zur gesetzlichen Regelung s. Ausführungen zu Frage 1.
In der Praxis wird jeweils im Einzelfall unter Würdigung der Gesamtumstände zu entscheiden sein, wie mit einer zur Verhinderung der Identitätsfeststellung geeigneten Aufmachung umgegangen wird. Insbesondere für komplexe Einsatzlagen lassen sich im Vorhinein keine Festlegungen treffen.
§ 9 Niedersächsisches Versammlungsgesetz: Schutzausrüstungs- und Vermummungsverbot
(1) Es ist verboten, auf dem Weg zu oder in einer Versammlung unter freiem Himmel Gegenstände mit sich zu führen, die als Schutzausrüstung geeignet und dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten abzuwehren.
(2) Es ist auch verboten,
an einer Versammlung in einer Aufmachung teilzunehmen, die zur Verhinderung der Feststellung der Identität geeignet und bestimmt ist, oder den Weg zu einer Versammlung in einer solchen Aufmachung zurückzulegen oder
auf dem Weg zu oder in einer Versammlung Gegenstände mit sich zu führen, die zur Verhinderung der Feststellung der Identität geeignet und bestimmt sind.
(3) Die zuständige Behörde befreit von den Verboten nach den Absätzen 1 und 2, wenn dadurch die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht unmittelbar gefährdet wird.
Die Fragen stellte dju-Landessprecherin Annette Rose, die Antworten gab Alexandra Quander aus dem Referat Recht des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport