dju holt Soloselbstständige per Videokonferenz zusammen - Start für Öffentlichkeitskampagne
Corona brachte es an den Tag: Das Sozialsystem in Deutschland ist in Schieflage. Dies haben in den vergangenen Monaten selbstständig arbeitende Journalist*innen, Fotograf*innen, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Bildungsarbeiter*innen und andere Solos sehr heftig zu spüren bekommen. Sie verfügen über keine soziale Absicherung, wenn Aufträge und Engagements ausbleiben.
So kann es nicht weitergehen! Darüber waren sich die Teilnehmer*innen einer Videokonferenz einig, zu der die Deutsche Journalist*innen Union Niedersachsen-Bremen (dju) Soloselbstständige aus ihrem Landesbezirk eingeladen hatte.
Schon in der Auftaktkonferenz am 30. September benannten die Teilnehmer*innen die am dringendsten erforderlichen Veränderungen: Soloselbstständige brauchen eine Arbeitslosenversicherung und eine Rentenversicherung, damit sie nicht schlechter gestellt sind als abhängig beschäftigte Arbeitnehmer*innen. „Um in Politik und Gesellschaft gehört zu werden, muss zuerst die Öffentlichkeit über die Situation der Menschen informiert werden, denn die Politik weiß nicht, wie wir leben und unter welchen Umständen wir leben“, erklärte eine Teilnehmerin.
Der Termin für die nächste Videokonferenz für Soloselbstständige steht schon fest: Mittwoch, 28. Oktober ab 19 Uhr. Wir werden die Veranstaltung und die Anmeldemöglichkeit veröffentlichen.
„Die Breite der Leute, die es trifft, ist durch Corona deutlich geworden“, erklärte Gunter Haake vom ver.di-Selbstständigen-Referat, der die Initiative der dju unterstützt. Etwa 30 000 Soloselbstständige seien in ver.di organisiert. Es ist ihre größte Interessenvertretung in Deutschland, wo es gut zwei Millionen Soloselbstständige gibt.
Hohe Verluste trotz Ideen und Engagement
Zu Beginn der Konferenz berichteten die Teilnehmer*innen von ihren Erfahrungen während der Krisen-Monate. Ein Teilnehmer, der als Fachjournalist ordentlich verdient hatte, berichtete, er habe bis zu 90 Prozent seiner Aufträge verloren. Anrufe bei Auftraggebern während des Shutdowns hätten nicht viel erbracht. Er habe – wie die anderen Teilnehmer auch berichteten - die auftragslose Zeit genutzt. Er überarbeitete seine Webseite, um sich im Netz besser zu präsentieren. Inzwischen habe er drei neue Auftraggeber gewonnen. Eine Cartoonistin schilderte, sie habe Videos produziert, Interviews gegeben, ihre Öffentlichkeitsarbeit verstärkt und ihren Webshop verbessert. Aber alle Ideen und Projekte hätten ihr nicht das finanzielle Überleben gesichert.
Denn: Die meisten Soloselbständigen fielen bei staatlichen Förderprogrammen durchs Raster, da sie keine nennenswerten Betriebsausgaben haben, die als förderungswürdig gelten. Anders als in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern gab es in Niedersachsen und Bremen keine Möglichkeit, Hilfe für Lebenshaltungskosten zu beantragen. Daran änderten auch die Brandbriefe der ver.di-Landesleitung Niedersachsen-Bremen an die Regierungschefs nichts.
Hartz IV war keine Option
Den Schritt zu Hartz IV habe sie nicht vollzogen, sagte eine Teilnehmerin. Auch andere erklärten, dass dies für sie keine Option gewesen sei. Wer einen verdienenden Ehepartner habe, habe ohnehin keine Chance. Und wer Geld fürs Alter gespart habe, müsse dies erstmal verbrauchen. Gegen Jahresende werde sie komplett von ihrem Ehemann abhängig sein, wenn das so weitergehe: „Mich belastet es sehr, dass meinen Unabhängigkeit dabei untergeht.“
Eine weitere Teilnehmerin, die Schreiben und Texten auch an Volkshochschulen unterrichtet, berichtete, es habe keine Ansprechpartner gegeben, wenn Seminare abgesagt wurden. Die Soloselbstständigen seien von den Auftrag gebenden Bildungseinrichtungen und Hochschulen schlicht im Stich gelassen worden.
Lobbyarbeit und erste Lichtblicke
Doch zum Frust-Schieben waren die Solos nicht zusammengekommen. Zwei haben bereits eine Öffentlichkeits-Kampagne angeschoben, die jetzt bei ver.di startet. Eine Teilnehmerin berichtete, dass es aufgrund der Lobbyarbeit Soloselbstständiger einen kleinen Erfolg zu vermelden gebe: Die niedersächsische Landesregierung hat am 24. September ein Programm zur Unterstützung von Künstler*innen und Kultureinrichtungen aufgelegt und ein Stipendien-Programm für Soloselbstständige entwickelt. Bis zu zehn Millionen Euro seien im Topf, heißt es in der Pressemitteilung:
Diskussion in der Öffentlichkeit anschieben
Die Teilnehmer*innen haben bereits Ideen entwickelt, um eine Diskussion in der Öffentlichkeit in Gang zu bringen: Vernetzung für verschiedene Anliegen, eine Plattform für den gemeinsamen Austausch der Soloselbstständigen, Bündeln der Ideen aller Soloselbstständigen aus unterschiedlichen Bereichen. Konkrete Forderungen an die Politik entwickeln.
Ein Schritt zur Vernetzung sei schon getan, berichtete Gunter Haake: In Leipzig wurde am 1. September das „Haus der Selbstständigen“ eröffnet. Es wird von verschiedenen Institutionen gefördert und betrieben, u. a. vom ver.di Referat Selbstständige. Hier können sich Soloselbstständige vernetzen und weiterbilden. Das Projekt wird in der ver.di Mitgliederzeitung „publik“ vorgestellt:
https://publik.verdi.de/ausgabe-202006/wir-packens-an/
„Die Debatte muss jetzt starten“
Haake forderte die Teilnehmerinnen auf, aktiv zu werden, Forderungen zu formulieren, an die Politik und auch an ver.di. Ohne den eigenen Einsatz der Soloselbstständigen gehe es nicht: „Die Debatte darüber, wie das Sozialsystem aufgestellt werden soll, muss jetzt starten.“ Die Politiker wüssten wirklich nicht, wie es Soloselbstständigen geht. Die Betroffenen könnten ihnen das anschaulich vermitteln, „zum Bespiel bei Besuchen in den Wahlkreisen: Nächstes Jahr sind Bundestagswahlen“.
Wenn Du Fragen oder Anregungen hast, und wenn Du mitmachen willst, bessere Arbeits- und Sozialbedingungen für Soloselbstständigen durchzusetzen, wende Dich an
Gewerkschaftssekretär Peter Dinkloh peter.dinkloh@verdi.de
dju-Landessprecherin Annette Rose annette.rose@dju-nds-hb.de