Madsack scheitert mit fristloser Kündigung einer Betriebsrätin auch vor dem Landesarbeitsgericht

18.12.2018
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Anzeigerhochhaus Madsack Hannover

3,60 Euro Porto für drei Werbebriefe zur Betriebsratswahl sollen Beate S. (56) nach fast 30 Jahren den Arbeitsplatz kosten. Die Bilanzbuchhalterin und ehemalige Betriebsratsvorsitzende habe sich den Briefe-Transport durch die madsackeigene City-Post erschlichen, so der Vorwurf der zu Madsack gehörenden Mediendienstleistungsgesellschaft (MDG). Mit der fristlosen Kündigung der 56-Jährigen, die von ver.di unterstützt wird, ist das Unternehmen zum zweiten Mal gescheitert.

Nach dem Arbeitsgerichtsverfahren im Mai urteilte am 17. Dezember 2018 auch das Landesarbeitsgericht, die fristlose Kündigung sei unverhältnismäßig und deshalb nicht gerechtfertigt. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht ließen die Richter unter Vorsitz von Roswitha Stöcke-Muhlack nicht zu. 

Von Annette Rose 

Von 2002 bis Ende 2017 war  Beate S. im Betriebsrat der Mediendienstleistungsgesellschaft. Im Dezember 2017 stand eine Neuwahl an. Die Mitglieder ihrer Wahlliste hatten beschlossen, auch Mitarbeiter*innen darüber zu informieren, die zur Dienstleistungsgesellschaft Potsdam gehören oder vorübergehend nicht im Betrieb anwesend waren. Die Wahlwerbung steckte Beate S. in Umschläge und gab sie in die Hauspost. Sie sei davon ausgegangen, dass es einen Kurierdienst nach Potsdam gebe, so die 56-Jährige - was der Arbeitgeber ihr nicht abnahm.

Die Briefe landeten bei Madsacks Citi-Post, wurden dort mit Wertmarken versehen und versendet. Auf die in Potsdam angelandete Wahlwerbung folgte im Januar 2018 die fristlose Kündigung der langjährigen Betriebsrätin wegen "Erschleichen" von Briefbeförderung im Wert von 3,60 Euro zulasten des Arbeitgebers. Fristgemäß konnte sie nicht gekündigt werden, denn Beate S. stand als frühere Betriebsrätin und Wahlvorstand unter nachwirkendem Kündigungsschutz.

Grundsätzlich sei eine fristlose Kündigung auch wegen Bagatelldelikten möglich, sagte die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht. Sie verwies auf das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010 zum Fall der Berliner Tengelmann-Kassiererin "Emmely", die zwei gefundene Pfandflaschenbons im Wert von 1,30 Euro für sich unterschlagen haben soll - was sie immer bestritt. Das BAG hatte damals geurteilt, dass die beiden Pfandbons keine fristlose Kündigung nach 31 Jahren untadeliger Arbeit rechtfertigen.

Bei Beate S. habe die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts ergeben, dass der Vorwurf der Erschleichung von 3,60 Euro Porto nicht schwerwiegend genug sei, um nach fast 30 Jahren im Betrieb eine fristlose Kündigung zu begründen. Die Wahlwerbung sei von den Kandidatinnen ihrer Wahlliste beschlossen worden. Beate S. habe nicht für sich privat gehandelt, sondern als Mitglied des Wahlvorstands für ihre Liste.

Wie beim Arbeitsgericht üblich, versuchte die Richterin die Bereitschaft zu einem Vergleich auszuloten und schlug eine Abfindung kurz unterhalb von 100 000 Euro vor. Das werde der Arbeitgeber mitmachen, antwortete der Arbeitgeber-Anwalt sofort. Die Bilanzbuchhalterin, die dem Prüfungsausschuss der Industrie-und Handelskammer angehört, werde doch bei ihrer Qualifikation schnell eine neue Arbeit finden.

Die 56-Jährige und ihr Anwalt sahen das weniger rosig und lehnten ab. S. habe noch zehn Jahre zu arbeiten und wolle zu Madsack zurückkehren. Mit 50 000 Euro Bruttoverdienst pro Jahr seien zwei Jahre abgedeckt, die Altersversorgung sei gar nicht berücksichtigt. Das werde man einrechnen, so der Madsack-Anwalt, "wir gehen von einem Budget von 150 000 Euro aus." Eine Weiterbeschäftigung könne sich der Arbeitgeber nicht vorstellen bei einem "derart belasteten Arbeitsverhältnis". 

Bei diesem Stichwort mussten die Richter nur noch die Ohren spitzen, um einen Eindruck vom Geschehen im Betrieb zu bekommen. Neun Abmahnungen habe man der Frau erteilt, so der Madsack-Anwalt. Das müsse bei der Interessenabwägung des Falles unbedingt eine Rolle spielen, denn anders als beim Fall Emmely sei dieses Arbeitsverhältnis "belastet." Dies hatte das Gericht zuvor schon anders bewertet: es gebe keine vergleichbaren Vorwürfe.

Die Abmahnungen stünden alle im Zusammenhang mit ihrer Betriebsratsarbeit oder der Arbeit im IHK-Prüfungsausschuss, entgegnete der Anwalt von S. Auf jeden Abmahnungsvorwurf habe man reagiert und ihn begründet widerlegt. Eine Mediation sei gescheitert, weil der Vorgesetzte nicht teilgenommen habe. Madsack habe in den vergangenen Jahren durch Aufspaltung und Outsourcing bestehende Betriebsrätsgremien ausgehebelt und wolle nur eine unbequeme Betriebsrätin loswerden.

Mit einer Revision ist das Urteil nicht mehr anfechtbar. Der Arbeitgeber müsste eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht einreichen, die Hürden dafür sind hoch.