8500 Menschen setzen in Hannover ein Zeichen für Pressefreiheit und gegen 120 Neonazis
23.11.2019
Von Annette Rose und Lennart Helal
Sie kamen mit Bus und Bahn, Fahrrädern und Rollern, sogar im Rollstuhl: 8500 Menschen haben am Sonnabendnachmittag in Hannovers Südstadt für Pressefreiheit und gegen Nazis demonstriert. Der Stadtteil war durch ein Großaufgebot von Polizisten und Polizeifahrzeugen so abgesichert, dass Rechte und Gegendemonstranten nicht aufeinanderstoßen konnten. Während die Großdemo des gewerkschaftlichen Bündnisses „bunt statt braun“ den Aegidientorplatz füllte, marschierte eine kleine Gruppe von 120 Rechten zum NDR-Funkhaus am Maschsee. Angeführt von Thorsten Heise, Bundesvorstandsmitglied der NPD, protestierten sie dort gegen „steuerfinanzierte Hetze“ durch Journalist*innen, die regelmäßig über Aktionen und Vorhaben der Nazis aufklären.
Nach dem vorangegangen Gerichtsverfahren, in dem der verbotene NPD Aufmarsch wieder zugelassen wurde, hatte die Polizei dem NPD-Anführer Heise ein Redeverbot auferlegt. Er soll bei einer NPD-Veranstaltung im Juni dem NDR-Journalisten Julian Feldmann angekündigt haben „der Revolver ist schon geladen“. Heises Anhänger wiederholten vor dem Funkhaus im Beisein der Polizei Drohungen gegen zehn namentlich genannte Journalist*innen. Sven Skoda von der Partei „die Rechte“ bezeichnete Journalisten als „Brunnenvergifter“ und „Schädlinge“. Andere drohten „Wir haben eure Namen, wir haben eure Adressen.“
Die freie Journalistin und Buchautorin Andrea Röpke, die seit fast 30 Jahren über Rechtsradikale berichtet und schon mehrfach angegriffen wurde, beobachtete die Kundgebung vor dem Funkhaus. „Sie drohen öffentlich hier vor einem Überangebot an Polizei, und nichts passiert“, erklärte sie. „Es macht mich wütend, dass das möglich ist.“ Solidarität mit Journalistinnen allein reiche nicht, wichtig sei es wie man damit umgehe, „dass einzelne Journalisten herausgepickt werden.“ Aussagen wie „Weg mit dem“ müsse man sehr ernst nehmen (Audiodatei zum Interview im Anhang).
Die Organisatoren der Gegendemonstration „bunt statt braun“ sind sich dessen bewusst. Der Demo-Aufruf „Journalist*innen gegen Nazis verteidigen“ wurde von einem breiten Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden getragen, darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, zu der die Deutsche Journalist*innen-Union (dju) gehört. Auch der niedersächsische Journalisten-Verband (DJV) hatte sich mit einem Aufruf dieser Demo angeschlossen. Denn: Namentliche Nennung und öffentliche Hetze gegen kritische Journalisten gab es bisher nicht. Damit haben die Bedrohungen der Rechten eine neue Dimension erreicht.
Der Aufruf an die Bürger, sich solidarisch mit Journalist*innen zu zeigen und für die Pressefreiheit einzutreten, kam in einem Maß an, das die Organisatoren positiv überraschte: 8500 Menschen strömten am vergangenen Sonnabend in Hannover zusammen, die Polizei hatte bei dieser Demo etwa 2000 Menschen erwartet. Unter den Teilnehmer*innen befand sich viel politische Prominenz – auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) war dabei.
Für Belit Onay, neu gewählter Oberbürgermeister von Hannover, war es der erste öffentliche Auftritt im Amt. „Ich kann mir einen schöneren Anlass vorstellen, aber keinen schöneren Rahmen“, erklärte Onay (Grüne) beim Anblick der Menschenmenge. Hannover sei eine Stadt, in der Rassismus und Antisemitismus keinen Platz haben. "Es ist bitter, dass man das immer wiederholen muss.“ Onay selbst schlug nach seiner gewonnenen Wahl Hass in den sozialen Medien entgegen – wegen seiner türkischen Abstammung.
Bedrückend und beeindruckend waren der Auftritt von David Janzen und Andreas Speit. Der Fotograf und der Journalist sind auch Betroffene der Nazihetze. „Wir knicken nicht ein, wenn ihr uns namentlich nennt“, sagte Speit. Fotograf Janzen berichtete von Angriffen auf seine Wohnung, Farbschmierereien, und Drohungen gegenüber seiner Familie. Das sei der Beweis dafür, dass er und auch sein Kollege mit ihren Reportagen richtig gelegen hätten, „sonst würden sie uns nicht so hassen.“ Und das wiederum mache auch Mut.
Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius erklärte: „Wenn Journalisten aufgeben, bricht eine Säule der Demokratie weg.“ Rechtsextremismus werde aber nicht kleiner, wenn man nicht drüber spricht, sondern größer. Der mangelnde Widerstand der Gesellschaft in der Weimarer Republik habe die Nazis ermöglicht. Das von der Polizei ausgesprochen Verbot der Nazi-Demo halte er nach wie vor für richtig, auch wenn die Gerichte es aufgehoben haben. Zu einer Demokratie gehöre neben Pressefreiheit auch die Unabhängigkeit der Justiz: „Das ist mir lieber, als wenn Gerichte von Staatspräsidenten gelenkt werden.“
Hauke Jagau, Präsident der Region Hannover, zog zieht eine Verbindung zwischen NPD und AfD. „Das Vorgehen der NPD, Kritikern Angst einzujagen, ist die gleiche Methode, die auch die AfD mit ihrem Denunziantenportal im Internet anwendet“, so Jagau. Die AfD hatte dazu aufgerufen, die Namen von Lehrern, die sich kritisch über der AfD äußern, im Internet anzugeben.
Detlef Ahting, Ver.di Landeschef und Vorsitzender des Landesrundfunkrates, betonte, es sei wichtig, dass die Journalisten ihre Arbeit fortsetzen. Und dass sie ihr Augenmerk auf alle aktuellen Bedrohungen richten.
DGB-Chef Mehrdad Payandeh rief den Demonstranten zu: „Heute sind wir alle Journalisten“. Den Rechten gehe es darum, Angst zu erzeugen, „damit Journalisten sich selbst zensieren“, sagte der Vorsitzende des DGB-Bezirks Niedersachsen-Bremen-Sachsen-Anhalt. Unfreiheit in einem Land beginne „mit der Unterdrückung der Pressefreiheit“ Er, der 1985 aus dem Iran flüchtete, habe das am eigenen Leib erlebt. Wer heute auf der Demo sei, solle allen andern davon erzählen, „damit wir noch mehr werden.“
Hintergrund: Demoverbot und -aufhebung
Erst am 21.11. hatte die Polizeidirektion die für den 23.11. angemeldete Nazi-Demo verboten. Mit ihrem Demo-Verbot ist sie vor dem Verwaltungsgericht Hannover und auch vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG) gescheitert.
Die Polizeibehörde hatte sich auf ein Flugblatt mit dem Titel "Rache für Karl" gestützt und auf Äußerungen in den sozialen Medien. Mit Karl ist der im Herbst gestorbene Karl M. (96) gemeint, der im November 2018 von dem NDR-Journalisten Julian Feldmann mit seinen Kriegsverbrechen in Frankreich 1944 konfrontiert worden war. Reue zeigte er nicht.
Die Polizeidirektion hatte die Versammlung der NPD zunächst unter erheblichen Beschränkungen bestätigt, dann aber ein Totalverbot ausgesprochen und dies damit begründet, dass eine Verletzung der Pressefreiheit zu befürchten sei.
Das Verbot einer Versammlung als schwerster Eingriff in die Versammlungsfreiheit ist nach § 8 Abs. 2 NVersG nur zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit zulässig, die unmittelbar von der Versammlung ausgehen, und auch nur dann, wenn versammlungsrechtliche Beschränkungen nicht ausreichen, erklärten die Richter. Die öffentliche Sicherheit umfasse auch den Bestand der Rechtsordnung einschließlich der Institutsgarantien der Grundrechte - also auch der Pressefreiheit.
Die Begründung der Polizeidirektion trage ein Totalverbot der geplanten Versammlung aber nicht, wobei das Gericht durchaus davon ausgehe, dass die Versammlung einschüchternde Tendenzen aufweise. Darin liege aber keine unmittelbare Gefährdung der Pressefreiheit gerade durch die Versammlung, sondern nur eine mittelbare Gefährdung durch den Kontext, in den sich die Versammlung einfüge und in dem sie verstanden werde. Solche einschüchternden Tendenzen könnten deshalb nicht das Verbot der Versammlung rechtfertigen - sie berührten zwar das Schutzgut der Pressefreiheit, aber nicht unmittelbar, sondern erst durch ihre Einordnung durch die Öffentlichkeit.
Möglich seien jedoch versammlungsrechtliche Beschränkungen, die die Polizei zuvor verfügt hatte und wieder verfügen könne. So unter anderem das Redeverbot für NPD-Frontmann Thorsten Heise.
Versammlungsrechtliche Beschränkungen sind nach § 8 Abs. 1 NVersG zulässig, wenn Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit drohen, als milderer Eingriff aber auch schon dann, wenn die öffentliche Ordnung gefährdet wird..
Verwaltungsgericht Hannover Az. 10 B 5450/19
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